Wir müs­sen der Ver­gan­gen­heit zuhö­ren (Volks­trau­er­tag 2017)

Bei der Gedenk­ver­an­stal­tung zum Volks­trau­er­tag vor der Peters­kir­che trägt Silas Eisen­acher von der Klas­se 5b des Bodensee-Gymnasiums eige­ne Gedan­ken vor und die von Lil­li Iden. Auch Rebek­ka Lohr­mann von der 8b (hin­ten links) brach­te Gedan­ken zum Volks­trau­er­tag, nach­dem OB Ger­hard Ecker (rechts) sei­ne Anspra­che gehal­ten hat­te. Foto: Chris­ti­an Flemming

Lin­dau – „Die Ver­gan­gen­heit muss reden, und wir müs­sen zuhö­ren. Vor­her wer­den wir und sie kei­ne Ruhe fin­den” – unter die­ses Zitat von Erich Käst­ner hat Lind­aus OB Ger­hard Ecker sei­ne Anspra­che zum Volks­trau­er­tag vor der Peters­kir­che auf der Lin­dau­er Insel gestellt. Zum The­ma Armut, die sie als eine Ursa­che für Krieg erkannt haben, tru­gen Rebek­ka Lohr­mann und Silas Eisen­acher vom Bodensee-Gymnasium eige­ne Bei­trä­ge zu die­ser Gedenk­ver­an­stal­tung bei.
Nicht um Schuld­zu­wei­sung für die Taten der Ver­gan­gen­heit, son­dern um Ver­ant­wor­tungs­über­nah­me für das Han­deln in der Gegen­wart und in der Zukunft gehe es bei dem heu­ti­gen Geden­ken, sag­te Ecker, nach­dem der Musik­ver­ein Reu­tin die Gedenk­stun­de eröff­net hat­te. Ecker rich­te­te mah­nen­de Wor­te gera­de auch an jene, die mein­ten, die Zeit des Geden­kens sei vor­bei. „Sie wol­len nur wie­der alten Ungeist brin­gen und in unse­re Par­la­men­te tra­gen”, warn­te der Oberbürgermeister.
Ange­sichts der Flut grau­sa­mer Bil­der aus Syri­en, Myan­mar oder zuletzt dem Jemen, zer­stör­ter Städ­te und unter­ernähr­ter Kin­der, die dem Tod nahe sei­en, drän­ge sich die Fra­ge auf, ob nie­mand der Ver­gan­gen­heit zuge­hört habe. Es sei­en stets die Schwa­chen, die sich der Krieg zuerst als Opfer neh­me. Ecker gedach­te auch der vie­len unrecht­mä­ßig ins Gefäng­nis gewor­fe­nen Men­schen, dar­un­ter Jour­na­lis­ten und Pro­fes­so­ren in der Türkei.
„Gera­de jetzt braucht es eine leben­di­ge, nach vor­ne gerich­te­te Erin­ne­rungs­kul­tur”, zeig­te sich Ecker über­zeugt: „Wir müs­sen auf die Ver­gan­gen­heit hören, die uns warnt! Wir müs­sen den Wil­len zum Frie­den und zur Ver­söh­nung haben”, gera­de ange­sichts der heim­tü­cki­schen Atta­cken des IS über­all auf der Welt. Man dür­fe aber nicht in Trau­er und Geden­ken erstar­ren, fuhr der OB fort, „wir müs­sen uns für eine fried­li­che­re, gerech­te­re Welt ein­set­zen”. So müs­se die EU mehr sein als eine Wirt­schafts­uni­on, viel­mehr ein euro­päi­scher Wer­te­ver­bund, in dem der Frie­den das zen­tra­le Ziel sei.
„Ich bin nicht so naiv zu glau­ben, der Ein­zel­ne kön­ne die Welt ret­ten. Aber wenn jeder an sei­nem Platz tut, was mög­lich ist, dann steigt die Chan­ce auf Frie­den”, schloss der Ober­bür­ger­meis­ter, der dem Volks­bund Deut­sche Kriegs­grä­ber­für­sor­ge für sein Enga­ge­ment dank­te. Er erin­ner­te auch an den kürz­lich ver­stor­be­nen Bene­dikt Wun­de­rer, dem Frie­den und Ver­söh­nung sehr wich­tig war. Ein wei­te­rer Dank galt den Kir­chen, die mit ihren jähr­li­chen Spen­den­ak­tio­nen hel­fen wür­den, Hun­ger und Leid in der Welt ein wenig abzu­mil­dern. Denn gera­de die Armut sei ein Grund für Gewalt und Krieg – ein Gedan­ke, den Rebek­ka Lohr­mann und Silas Eisen­acher aufnahmen.
Bogy-Schüler befas­sen sich mit der­Ar­mut hier­zu­lan­de und in der Welt
So ging die Acht­kläss­le­rin Rebek­ka Lohr­mann dar­auf ein, dass für vie­le in Armut Leben­de die Reli­gi­on ein Weg sei, ihre Situa­ti­on erträg­li­cher zu machen. „Es soll­te jedem klar sein, egal ob arm oder reich, dass jeder Mensch gleich behan­delt wer­den muss und dass kein Mensch Vor­ur­tei­le gegen­über ande­ren haben soll – gera­de gegen­über denen, die sowie­so schon in einer sozia­len Rand­grup­pe leben”, sag­te die Bogy-Schülerin.
Gedan­ken über sicht­ba­re Armut schrieb Lil­li Iden nach einem Kino­be­such nie­der, die der Bogy-Fünftklässler Silas Eisen­acher vor der Peters­kir­che vor­trug. Ein Obdach­lo­ser, der um Geld bet­tel­te, hat­te ihr fast die Freu­de auf den Kino­be­such mit ihrem Freund ver­dor­ben. Der Mann ging ihr dann wäh­rend des gesam­ten Films nicht aus dem Kopf und so gab sie ihm danach ihr übri­ges Geld – und ern­te­te ein Lächeln des Mannes.
Silas Eisen­ach­ers eige­ne Gedan­ken dreh­ten sich um ver­steck­te Armut. Sicht­ba­re Armut gebe es in der Welt, so kein Was­ser, kein Haus, kein Essen, kei­ne Toi­let­te. Hier hin­ge­gen sehe das anders aus: „War­um gilt bei uns jemand als arm, der zum Bei­spiel in Ugan­da als rela­tiv gut ver­sorgt dasteht?” Der Fünft­kläss­ler gab Ant­wor­ten: Wenn jemand sich Smart­phone, Schul­aus­flug oder Schü­ler­aus­tausch nicht leis­ten kön­ne, sei das ein Beleg für Armut. „Wenn ich das alles nicht habe, lei­de ich zwar kei­nen Hun­ger und bin auch nicht obdach­los, aber bei uns in Deutsch­land wäre ich trotz­dem arm”, sag­te der Schü­ler. Er sei kein Teil der Gemein­schaft – „und das tut weh! Wie kommt es, dass wir das so häu­fig übersehen?”

Quel­le: Lin­dau­er Zei­tung vom 20.11.2017, online ver­füg­bar unter http://www.schwaebische.de/region_artikel,-Wir-muessen-der-Vergangenheit-zuhoeren-_arid,10772329_toid,441.html